Erinnerung

Von schönen Unken und blöden Gänsen

"Sag mal, Renate, kannst du eigentlich mit allen Tieren so gut umgehen?", frage ich, während die im Sternzeichen des Krebses geborene Altenburgerin emsig in der Küche wuselt und mir einen Cappuccino zum Feierabend brüht. "Würde mich mal so interessieren und außerdem wüsste ich gern, ob du Frösche küsst?" "Wie kommst du denn auf den Trichter?", flötet die Hausherrin ausgelassen beim Hereinkommen ins mit allerlei liebenswertem Kram voll gestopfte Wohnzimmer. Dann drückt sie mir die bunt bemalte Tasse heißen italienischen Kaffees in die Hand und schaut mich zweifelnd an, während ich in ihrer zum bequemen Relax- und Schaukelsitz hochgerafften Hängematte, Marke "Jane sucht Tarzan" in der Luft baumele.

"Na ja", deute ich vorsichtig mit dem Zeigefinger hinüber zu ihrem in einem offenen Fach in der Wohnwand aufgebauten Laptop. "Ich will ja nicht unken, aber wenn ich mir deinen Bildschirmschoner so ansehe ... So eine olle Kröte hab' ich hier in der Praxis noch nicht getroffen - mal abgesehen davon, dass ich mir 1001 Mal überlegen würde, ob man diese feuchten, verwarzten Moder-Lippen knutschen würde", erkläre ich mich und tauche meine Lippen demonstrativ in die braune Kaffeespezialität mit Sahnehäubchen und Kakaopulver.

"Ach, das meinst du!", lacht sie forsch und zieht sich die eine ausgeleierte Socke an ihrem Fuß zurecht. "Das ist meine Schöne! Berta, die Unke. Schaut sie nicht fantastisch aus? Gegen sie sieht jeder potentielle Froschkönig blass aus, meinst du nicht auch?" "Na wenn du meinst", murmele ich eher ungläubig und kann mich bei dieser Vorstellung nicht wirklich überwinden, die Dame auch nur annähernd so sympathisch zu finden wie die Chefin. "Aber um auf deine Frage zurückzukommen ... Ich kann längst nicht mit jedem Tier, obwohl ich natürlich von den Klein- und Haustieren bis hin zu den ganz großen alle behandle. Aber es ist durchaus so, dass einige Arten einem deutlich besser liegen als andere. Das ist wohl eine Sache des persönlichen Zugangs, und was das anlangt - da bin ich hundertprozentig überzeugt - werden die Voraussetzungen für den wie auch immer gearteten Bezug zu den Tieren bereits in der Kindheit gelegt.

So jedenfalls war es bei mir. Meine ersten Jahre in Altenburg bin ich in unmittelbarer Nähe zu einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft aufgewachsen. Die Ställe kannte ich besser als unser Wohnzimmer zu Hause. Es hat mich eben schon immer zu den Tieren hingezogen - und in den Kuhstall - und wenn ich dort gerade mal nicht war, dann fand man mich bei den Hunden und Katzen und was es sonst noch alles am Ort so gab. Mit letzteren konnte ich mich stundenlang beschäftigen, ohne dass mir die Zeit lang wurde, und die mochten mich auch, ließen sich meine Streicheleinheiten gefallen, und spielen konnte ich auch wunderbar mit ihnen. Aber dann waren da noch die Gänse, und die waren nicht gerade meine engsten und besten Freunde. Denn mit denen hatte ich immer Ärger! Das wiederum beruhte auf Gegenseitigkeit. Wenn meine Mutter uns zum Milchholen schickte, gab es immer Ärger mit den blöden Gänsen! Um uns angesichts unserer viel zu kurzen Kinderbeine ein Stückchen von dem langen Weg zu ersparen, mussten wir nämlich immer eine Abkürzung nehmen, und die ging mitten über diese gefährliche Gänsewiese. Wenn die Gänse uns also mit unseren scheppernden Milchkannen nur von Ferne sahen, schnatterten sie schon so laut, dass wir dachten: 'Jetzt wetzen sie sich wieder ihre scheußlichen Schnäbel - eigens für uns und unsere kurzen Beine.' War auch so. Garantiert! Wir waren noch nicht ganz über den Zaun geklettert, da hatten sie uns schon dank ihrer langen Hälse erwischt und bissen uns in die Schenkel. Dann haben sie uns vor sich her getrieben mit einem unvorstellbaren Gezeter. Die Ganter waren die Schlimmsten, und die kleinen Gänseküken hatten auch ihren Spaß bei der Jagd auf uns. War für meinen Bruder und mich also kein leichter Stand - der Gang zum Milchbauern - und immer wieder haben sie zugeschnappt und uns in die Beine gebissen. Wir hatten überall blaue Flecken von diesen Biestern trotz bis unter die Arme hochgezogener Kniestrümpfe.

Von Rosa Bunt